Ich veröffentliche hier einen Beitrag, den ich in der Elternzeit mit meiner Tochter geschrieben habe, als die Langeweile im häuslichen Dasein zu groß wurde. Und ich wieder einmal viele frustrierende Begegnungen mit anderen Müttern hinter mir hatte, mir schrecklich einsam vorkam und mich fragte, ob es eigentlich keine gottverdammte Frau auf diesem Stückchen Erde gibt, die mein Leid mit mir teilt und mit der ich endlich mal offen sprechen könnte. Antonia Baum mit ihrem Buch „Stillleben“ hat mir da sehr geholfen. Leider wohnt sie in Berlin. Am anderen Ende der Republik. Und kennt mich nicht.

Als Psychoanalytikerin bin ich nicht die Mutter meiner Patienten und will es auch nicht sein. Schon gar nicht will ich die bessere Mutter sein, denn damit würde ich zwangsläufig scheitern. Dennoch brauche ich in meiner Arbeit dringend meine „mütterlichen“ Fähigkeiten, um die tiefen seelischen Prozesse, welche sich im Laufe einer intensiven Therapie ereignen, begleiten und verstehen zu können. Es ließe sich schon an dieser Stelle darüber streiten, was denn nun genau mit „mütterlich“ gemeint sein soll. Ich persönlich bin weder der Meinung, dass man eine Frau sein muss, um „mütterlich“ fühlen und handeln zu können noch dass man biologisch Kinder geboren haben muss. Die biologische Mutterschaft KANN die psychologische Entwicklung einer Frau jedoch dahingehend befördern, sich mit dem mütterlichen Aspekt ihrer Weiblichkeit näher zu befassen und ihn in ihre weibliche Identität zu integrieren. Dies gelingt Frauen heutzutage wie mir scheint teilweise nur sehr schwer.
Die Geburt eines eigenen Kindes und die ersten Wochen des Vertrautwerdens miteinander beinhalten ein enormes Potential. Die Begegnung mit einem Neugeborenen bietet eine Atmosphäre des Regressiven. Die damit einhergehende Konfrontation mit fremden und eigenen frühen Seelenanteilen ungekannter Intensität können außergewöhnlich beängstigend erlebt werden und zu Zuständen von Hilflosigkeit und Kontrollverlust führen. So oder so ähnlich wie im folgenden Abschnitt könnten sich Mütter eines Neugeborenen äußern:
„Auf einmal ist da dieses hilflose Wesen, welches nun vollständig von mir und meiner Fürsorge abhängig ist. Bisher war ich der Überzeugung, mein Leben unter Kontrolle zu haben, jetzt gleitet mir alles aus den Händen. Auch ich bin plötzlich abhängig. 24 Stunden meines Tages werden bestimmt von fremden Bedürfnissen. Ich esse nicht mehr, wenn ich Hunger habe, sondern wenn das Baby schläft. Ich vergesse oft, auf Toilette zu gehen. Mittlerweile habe ich die gleichen Verdauungsprobleme wie mein Baby. Es ist eh nie ganz klar, um wen es eigentlich gerade geht. Meine Stimmung ist davon abhängig, wie das Baby gelaunt ist. Und umgekehrt gilt offensichtlich das gleiche. Was hat es denn nun wieder? Warum schreit es immer noch? Mache ich etwas falsch? Meine Bedürfnisse stehen wirklich völlig hinten an. Seit zwei Tagen habe ich nicht mehr geduscht. Mein Körper ist vom Stillen, der anhaltenden Schlaflosigkeit und dem ständigen Tragen völlig fertig. Morgen muss mein Mann wieder arbeiten gehen. Wie soll ich das nur schaffen?“
Die in projektiver Identifikation empfundene Abhängigkeit einerseits und die reale Abhängigkeit von einem bedürftigen Wesen andererseits, die unablässige Fürsorge-Verantwortung sowie den permanenten Verzicht auf basale eigene Bedürfnisse auszuhalten, ohne in hasserfüllte Rachegefühle zu verfallen, diese in aggressiven Handlungen am Baby auszuführen oder sich in die Depression zurückzuziehen und den Säugling dadurch im Stich zu lassen, hat schon Winnicott in seinem vielzitierten Essay über den Hass in der Gegenübertragung als Herausforderung benannt. Gleichzeitig entwirft derselbe Autor ein Bild von der Mutter als haltendem Subjekt, welchem es im besten Falle gelingt, den Ansturm an psychischem Rohmaterial aufzunehmen und für den unreifen Säugling zu halten.
Auch in der psychoanalytischen Arbeit bekomme ich es immer wieder mit „Rohmaterial“ zu tun, fragmentierten psychischen Inhalten intensiver emotionaler Qualität, welche aufgenommen, gehalten und verdaut werden wollen. Je „früher“ die Störung, desto mehr Bedeutung kommt diesem Aspekt des analytischen Arbeitens zu, was ja auch darauf verweist, welche Arbeit in der frühen Lebenszeit des betreffenden Patienten von seinem Betreuungsumfeld eventuell und warum auch immer nicht geleistet werden konnte.
Als junge Psychoanalytikerin blicke ich auf ein akademisches Studium und eine jahrelange Weiterbildung zurück. Dabei habe ich vielfältige Konzepte kennengelernt, klinische Erfahrung im stationären und ambulanten Rahmen gesammelt, eine jahrelange Lehranalyse gemacht und von der Erfahrung vieler Supervisoren profitiert. Trotz dieser intensiven Ausbildung könnte ich mir das psychoanalytische Arbeiten ohne begleitende kollegiale Intervision, viel Literaturstudium zu ausgewählten Themen und die Einbindung in Fachkreise nicht vorstellen. Ich kann nur eine gute Analytikerin sein, wenn ich nicht alleine meine schwere Arbeit verrichte, sondern Möglichkeiten zur Triangulierung habe. Viele meiner Kollegen würden mir da sicher zustimmen. Auch wenn manches durch Erfahrung selbstverständlicher wird, trifft man immer wieder auf fremde und mitunter beängstigende psychische Inhalte, gegen die man ja keinesfalls ein für alle Mal gewappnet ist. Fühle ich mich allerdings in einem Netzwerk von Kollegen gehalten, die um die schwierige Arbeit wissen, gelingt es mir, Unaussprechliches auszuhalten, um dann im Verlauf mehr und mehr Worte zu finden, Verstehen zu erzeugen. Im Grunde geht es – in Bions Begrifflichkeit – für mich immer wieder darum, die Fähigkeit, meine α-Funktion auszuführen, aufrecht zu erhalten. Die Vorstellung von der Umwandlung unverdaulicher β-Elemente in integrierbares psychisches Material entspringt der Idee einer guten frühen Mutter-Kind-Beziehung und beschreibt eine ganz grundsätzliche und bedeutsame „mütterliche“ Arbeit.
Wie aber, denken wir, kommt eine (moderne) Frau, die Mutter wird, zu den notwendigen Fähigkeiten, ihre Aufgabe zu bewältigen? Wie sehen die Rahmenbedingungen für ihre „mütterliche“ Arbeit aus? Was weiß sie selbst von der anstrengenden Aufgabe, die ihr Säugling tagtäglich an sie stellt? Wie steht es um ihre „Ausbildung“ als Mutter? Gehen wir als Psychoanalytiker davon aus, dass eine Mutter diese Arbeit qua Frausein gut bewältigen wird? Glauben wir, dass die biologische Mutterschaft sie auch auf alles Folgende ausreichend vorbereitet? Gehen wir davon aus, dass die primäre Mütterlichkeit ausreicht, um die tägliche fürsorgliche Arbeit dauerhaft leisten zu können?
Ich glaube das nicht. Vielmehr bin ich überzeugt davon, dass neben der individuellen Struktur einer Frau das direkte Umfeld einerseits sowie der kulturelle Kontext ihrer Mutterschaft andererseits einen zentralen Einfluss darauf haben, wie sie mit dieser für sie neuen und oft krisenhaft erlebten Situation umzugehen vermag. Ich gehe davon aus, dass viele Frauen zu Beginn ihres Mutterseins aktuell in eine Überforderungssituation geraten, durch welche sie nicht mehr in dem Maße einfühlungsfähig gegenüber ihrem Säugling sind, wie sie es aufgrund ihrer individuellen Struktur sein könnten, wären eben die äußeren Rahmenbedingungen andere. Ich glaube, dass Mütter etwas von dem gut gebrauchen könnten, was für mich als Analytikerin unverzichtbar ist. Zuallererst müssten sie sich verstanden fühlen darin, welch schwere Arbeit sie tagtäglich leisten. Und sie sollten dabei auf keinen Fall allein sein. Der regressive Sog, der von einem Säugling ausgeht und für den Mütter wenn auch interindivdiuell verschieden, so doch potentiell besonders ansprechbar sind, erfordert ein erhöhtes Maß an inneren und äußeren Triangulierungs-/ Distanzierungsmöglichkeiten, um nicht „verrückt“ zu werden. Inwiefern eine Frau dazu fähig ist, sollte meiner Ansicht nach nicht ihren individuellen psychischen Möglichkeiten zugeschrieben werden. Damit eine Frau sich auf die Kommunikation mit einem Säugling einlassen, ihre inneren psychischen Grenzen also vertrauensvoll lockern und die unreife Struktur des gerade geborenen Lebewesens haltend aufnehmen kann, braucht es meiner Ansicht nach neben einer ausreichend integrierten inneren Struktur einen haltenden äußeren Rahmen in Form von real verfügbaren, einfühlenden Objektbeziehungen.
Wie ich bisher dargelegt habe, gehe ich davon aus, dass die Wochen und Monate nach der Geburt eines Kindes eine sensible Lebensphase für die Mutter darstellt, welche eine große Entwicklungschance bietet und gleichzeitig das Risiko eines pathologischen Verlaufs enthält (Und die Dunkelziffer an depressiven Müttern im Wochenbett ist vermutlich hoch.). Um erstere zu ergreifen und letzteres zu verhindern, benötigen Frauen ausreichend Halt. Ich halte es für eine Fehlannahme, dass „psychisch gesunde“ Frauen für diese Aufgabe keine Unterstützung bräuchten und dass sie das schon schaffen.
Wie komme ich nun zu der Annahme, dass Mütter heutzutage alleine sind?
Ich schreibe – soviel dürfte deutlich geworden sein – nicht nur als Psychoanalytikerin, ich schreibe auch als Mutter. Da ich meinen Beruf nicht von mir als Person trenne, beobachte ich in Alltagsmomenten unweigerlich auch aus einer persönlich-psychoanalytischen Perspektive. Vermutlich ziehe ich die „professionelle“ Brille immer dann auf, wenn ich als „einfache“ Mutter nicht mehr zurechtkomme, nach Hilfskonstruktionen suchen muss, um weiter denken zu können und um zu verstehen, was mir fremd und unheimlich ist. Und an Orten und in Situationen, wo schwangere Frauen und Mütter mit oder ohne ihre Babys zusammenkommen, gibt es viel Unheimliches zu beobachten beziehungsweise zu fühlen.
Mütter unter distanzierter und wertender Beobachtung. Vor der Entscheidung, ein Kind zu bekommen, kann eine junge Frau in Deutschland relativ selbstbestimmt leben. Sie kann einen beliebigen Beruf ergreifen und darin weit kommen. Sie ist frei in ihrer Partnerwahl. Und sie kann wählen, mit wem und wann sie versuchen möchte, schwanger zu werden. Je länger der Bildungsweg einer Frau, desto später taucht die Idee eines Kindes meist auf. Mutter zu werden ist in unserem gesellschaftlichen Kontext kein zwangsläufiger Entwicklungsschritt der weiblichen Normalbiographie mehr. Die Entscheidung zur Mutterschaft ist vielmehr zu einer individuellen Entscheidung der Frau bzw. des betreffenden Paares geworden. Der Umgang mit Säuglingen und Kleinkindern wird nicht mehr selbstverständlicherweise gelernt, die frühe Kindheit spielt in der Lebensrealität der meisten Frauen bis zur eigenen Mutterschaft kaum eine Rolle.
Auf welcher Basis treffen also heutige Frauen die Wahl, Mutter zu werden? Sind sie darin so frei, wie es scheint? Inwiefern wird der Kinderwunsch gesellschaftlich getragen? Wie bereits ersichtlich wird, denke ich, dass Kinder zu bekommen vorwiegend als Privatsache angesehen wird. Demgegenüber steht jedoch die Erfahrung vieler Frauen, dass eine breite (anonyme) Öffentlichkeit mit Meinungsäußerungen bereitsteht, sobald eine Frau Mutter geworden ist. Die Zeit, in der ihr niemand ungefragt Vorschriften machte, wie sie ihr Leben zu führen habe, ist vorbei.
Bereits in der Schwangerschaft bekommt sie es mit einer Art öffentlichen Neugier, einem unverhohlenen Interesse an ihrem wachsenden Bauch zu tun. So sind zum Beispiel Berührungen desselben durch wenig vertraute Menschen keine Seltenheit. Viele Frauen sind in dieser Zeit der „anderen Umstände“ jedoch nicht in der Lage, dieser Art von Grenzüberschreitungen Einhalt zu gebieten. Ich glaube, dass dies geschieht, weil Frauen nicht auf die archaischen seelischen Prozesse, welche im Zuge von Schwangerschaft, Geburt und Neugeborenenzeit auftauchen können, vorbereitet sind. Fälschlicherweise nehmen sie an, diese passiv ertragen zu müssen anstatt aktiv mit ihnen umzugehen. Schon in der Schwangerschaft ist die Frau also nicht nur mit einem sich verändernden Inneren beschäftigt, sondern wird auch durch Mitmenschen mit „frühem“ Material konfrontiert. Dies setzt sich nach der Geburt fort. Es werden hohe Anforderungen an Frauen gestellt, die Mutter werden. Und zwar vom ersten Moment an. Sie werden in der Öffentlichkeit oft scharf beäugt und sogar wildfremde Menschen fühlen sich nicht selten aufgefordert, mit „hilfreichen“ Bemerkungen einzuspringen, wenn Not an der Frau ist (Säugling weint oder auch einfach so). Dabei werden Frauen wenig unterstützt darin, in ihrer neuen Rolle anzukommen, mit allen Fehlern, die man auf dem Weg begeht. Selten berichten Mütter von Säuglingen von einfühlsamen Bemerkungen wie „Ach, am Anfang weiß man einfach noch nicht, was die Kleinen haben. Bis man das herausgefunden hat, ist es eine schwere Zeit!“ Äußerungen wie „Wahrscheinlich hat es Hunger!„, „Ja hat es denn immer noch (2 Monate) einen Schnuller?„, „Ist ihm nicht kalt?“ oder noch dreister „Stillen Sie das Kind halt endlich, sonst rufe ich noch die Polizei!“ sind dahingegen leider keine Ausnahme. Das alles weist darauf hin, dass weinende Säuglinge viel im Seelenleben von Erwachsenen auslösen können und zwar weit mehr als den Wunsch, dem hilflosen Wesen beizustehen. Allerdings ist es einer Mutter in den ersten Lebenswochen ihres Kindes oft nicht möglich, diese Differenzierungsleistung vorzunehmen und sich zu sagen „Mein weinendes Baby stößt offensichtlich unangenehmes emotionales Erleben bei anderen an.“ oder „Mensch, was drückt diese Person sich aber ungeschickt aus!“ oder einfach nur „Was die Person wohl damit meint?“. Es ist recht wahrscheinlich, dass sie sich stattdessen in ihren Fähigkeiten als Mutter, derer sie sich selbst noch nicht gewiss ist, in Frage gestellt sieht. Denn Zweifel hinsichtlich der zahlreichen neuen Aufgaben, die es im Leben mit Säugling zu bewältigen gibt, gehören unweigerlich dazu. Es wäre wünschenswert, Mütter würden häufiger das Wohlwollen ihrer Umgebung erfahren, welche ihr in der verunsichernden Situation beisteht. Natürlich stellt sich da aber auch die Frage, ob Mütter selbst dahingehend aufgeschlossen sind, sich überhaupt helfen zu lassen, andere in die fürsorgliche Einheit mit aufzunehmen. Die Beobachtungen, welche ich im Folgenden schildern möchte, ließen zumindest bei mir gewisse Zweifel daran aufkommen.
Alleine trotz Gesellschaft? Es liegt nahe, dass sich Frauen mit ähnlichen Fragen und Unsicherheiten zusammenschließen. Dazu haben sie in vielfältigen Kursen Gelegenheit: Schwangerenyoga oder Yoga mit Baby, Geburtsvorbereitungskurse mit oder ohne Partner, Stillberatungen vor und nach der Geburt, Kreissaalbesichtigungen, Stillcafés, Babyschwimmen, Babymassagen, PEKiP-Kurse und vieles mehr. Sichtbar sind Frauen also erst einmal nicht alleine in einer für sie fremden und häufig verunsichernd erlebten Situation, sondern haben zahlreiche Möglichkeiten, sich mit anderen in der gleichen Lebensphase zusammenzutun und auszutauschen. Und doch meine ich, dass es Frauen nur selten gelingt, in den verschiedenen Gruppenkontexten eine haltgebende Gemeinschaft zu bilden, in welcher individuelle Nöte besprochen werden und die Einfühlung der anderen zu einer Ich-Stärkung führen könnten. Was ist es, was dabei nicht gelingen mag?
Wenn man genau hinhört, ist in den zahlreichen möglichen Vorbereitungskursen für werdende Mütter (die Monate im Voraus ausgebucht sind, was ja für ein vorhandenes Bedürfnis spricht) viel Angst spürbar. Angst vor einem schwierigen Verlauf der Schwangerschaft, Angst vor Fehlgeburten, Angst davor, eine natürliche Geburt nicht zu schaffen, Angst vor einem Kaiserschnitt, Angst, etwas falsch zu machen oder gar zu versagen. Was die Zielkriterien angeht, die von der einzelnen Frau erreicht werden „müssen“, bleibt dabei der Interpretation des Zuhörers überlassen – Reaktionen aufeinander sind von Projektionen durchzogen. Jede Frau hat ihre eigenen inneren Gespenster, die mitunter der realistischen Wahrnehmung des Gegenübers im Wege stehen. Auffällig ist, dass über Ängste kaum gesprochen wird, obwohl alle zumindest mit dem ersten Kind schwangeren Frauen eines eint: es steht etwas Unbekanntes und damit potentiell Beängstigendes bevor. Wagt es eine mutige Frau dennoch einmal, die ein oder andere Sorge anzusprechen, sieht sie sich mit beruhigenden Ratschlägen versorgt – die Ansteckungsgefahr wird schnell unter Kontrolle gebracht. Das Angstniveau im Raum ist danach jedoch eher erhöht, das Sprechen als frühe Triangulierungsmöglichkeit verstummt. Ähnliches habe ich in verschiedenen Gruppenkontexten nach der Geburt beobachtet. Die verbal geäußerten Themen wiederholen sich auf eine gewissermaßen eintönige Art und Weise. Schläft das Kind? Wie schläft es? Was ist richtig dahingehend? Elternschlafzimmer oder eigenes Zimmer? Wie trinkt es? Wie oft soll man stillen? Wann gibt man ihm den ersten Brei? Gläschen oder selbstgekocht? Gibt man überhaupt noch Brei oder gleich feste Nahrung? Verdaut das Baby gut? Stoffwindeln oder Wegwerfwindeln? Wann abstillen? Muss man das Baby rund um die Uhr tragen oder kann man es auch mal im Kinderwagen schieben? Schnuller ja oder nein? Ist es okay, wenn der Mann nachts auch mal aufsteht oder ist es mit 5 Monaten noch zu klein und braucht unbedingt die Mutter? All dies sind Fragen, welche unter Müttern der gebildeten Mittelschicht leidenschaftlich und repetitiv verhandelt werden, wobei zahlreiche Ratgeberliteratur als Bezugsrahmen dient.
Nun ist es ja nicht so, dass Fragen hinsichtlich der Säuglingspflege an sich banal und unnötig wären. Ein offener Austausch unter Frauen, die ähnliche Gedanken und Sorgen umtreiben, weil sie maximal unerfahren sind im Umgang mit einem Säugling, wäre ja als potentiell sehr hilfreich anzusehen. Wäre da nicht ein Unterton, der in diesen Gesprächsrunden in vielen Fällen mitschwingt. Die unbewussten Themen, die zwischen den Frauen verhandelt werden, verhindern einen offenen Austausch.
Doch was ist dieses Unbewusste, das sich lediglich zwischen dem gesprochenen Wort anhand von Gesten, Stimmlagen, Stimmungen zeigt und deswegen vermutlich nur mit „analytischem“ Blick bewusst wahrnehmbar wird?
Es gibt ein sehr drängendes Bedürfnis von Müttern, für und mit ihrem Baby genau das Richtige zu machen. Dieses „Richtige“ wird in Gesprächen untereinander meist im Außen verortet. Dabei gibt es die (wiederum unbewusste) Annahme, dass es im Umgang mit einem Neugeborenen einen allgemein gültigen Weg zu finden gibt. Die Sachlage ist nicht leicht zu durchschauen. Natürlich würden die wenigsten Frauen, vor allem nicht die gebildeten, heute dezidiert sagen, dass „man“ es so oder so zu machen habe und nur dies und jenes richtig sei. Eine solche Haltung würde nicht zu dem heutigen Anspruch der Aufgeklärtheit, Offenheit und Toleranz passen und vermutlich in den meisten Widerspruch erzeugen. So herrscht in Mütterrunden oft der Tenor „Jede weiß doch selbst am besten, was für ihr Kind richtig ist!“. Es geht also scheinbar nicht um die Norm, sondern darum, alles wertzuschätzen, was die Andere vielleicht anders macht als man selbst. Und eben da liegt eine enorme Schwierigkeit verborgen. Indem sich kaum eine Frau traut, Position zu ergreifen für das, wie sie selbst es macht und was sie persönlich richtig findet, entsteht kein offener Austausch über verschiedene Gedanken, Meinungen, Haltungen. Vielmehr herrscht häufig eine ausgeprägte (wieder unbewusste) Atmosphäre des Normativen und der verdeckten Konkurrenz um eine Deutungshoheit, in der jede Frau darum kämpft, nicht aus dem Raster zu fallen. Unter der konfliktvermeidenden Oberfläche findet also ein Kampf statt. Solidarität untereinander zu finden über Aushalten von Gegensätzlichkeit und echter Akzeptanz von interindividuellen Unterschieden ist dabei selten möglich. Was stattdessen passiert ist, dass manche Frauen sich in Gleichheit verbünden und sich von den „Anderen“ abgrenzen. Dies ist jedoch ein sehr zweifelhaftes Unterfangen, da es auf Erwachsenenebene wieder eine Beziehungsform herstellt, welche keineswegs hilfreich dabei ist, die enge nonverbale Verbundenheit mit dem Säugling durch Ich-Stärkung in der Begegnung mit denkenden Subjekten auszugleichen. Was fällt grundsätzlich differenzierten Frauen so schwer daran, in einen offenen Austausch zu kommen und die verschiedenen anstrengenden, ängstigenden, an den Rand der Erschöpfung bringenden, aber natürlich immer wieder auch beglückenden, euphorisierenden Momente mit einem Säugling zu teilen anstatt vordergründig gemeinsam nach dem richtigen Handlungsapparat zu suchen und sich unterschwellig zu bekriegen? Ich denke, dass es in dem bisher Geschriebenen schon angedeutet ist, um was es gehen könnte.
Im aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskurs vor allem in gebildeten Kreisen ist gewissermaßen eine Relativierung der Mutterrolle zu beobachten. Selbst die konservativen Kräfte des Landes halten nicht mehr fest an der Idee eines Familienmodells, in welchem der Mann das Einkommen sichert während die Frau idealerweise jahrelang lediglich im Haushalt und der Kindererziehung tätig ist. Es wird flächendeckende Fremdbetreuung ab dem ersten Lebensjahr angestrebt, Frauen werden ermutigt, ihren Beruf früh wieder aufzugreifen, sich also von ihrem Kind früher als in Deutschland bisher üblich zu trennen, Gleichberechtigung der Geschlechter hinsichtlich der Kinderversorgung scheint so zumindest theoretisch möglich zu sein. Demgegenüber steht jedoch eine fast erschreckende, unbewusste (deutsche?) Idealisierung der Mutterschaft. Sichtbar wird dies durch verschiedene Bemerkungen, mehr aber noch über diffuse Stimmungen in genannten Gruppenkontexten. Da fragt sich zum Beispiel eine Mutter, ob es traumatisierend für das Baby sein könnte, wenn SIE den Zeitpunkt des Abstillens bestimmt und nicht warten will, bis ihr Kind Bereitschaft signalisiert (betreffendes Kind ist 18 Monate alt). Eine andere Mutter zitiert aus aktueller Ratgeberliteratur,in der evolutionsbiologische Argumente bemüht werden, um zu begründen, warum Kinder eigentlich ausschließlich getragen werden wollen („Menschenbabys sind Traglinge und keine Lieglinge oder Schieblinge.“). Sie wagt kaum, sich über ihre daraus resultierenden körperlichen Beschwerden zu beklagen, weil „der nachfolgenden Generation ist mein Befinden ja egal, das Baby nimmt sich, was es braucht und das ist ja auch richtig so!“ Kaum noch in Frage gestellt wird beispielsweise auch die verbreitete Überzeugung, dass Babys im ersten Lebensjahr im Elternzimmer schlafen „müssen“, selbst wenn damit für beide Eltern belastende Schlafstörungen verbunden sind. Vordergründig geht es immer um das „objektive“ Wohl des Kindes, wobei denkfähigen Erwachsenen längst klar sein sollte, dass sich die Expertenmeinung dazu, was objektiv ist, alle paar Jahre wandelt.
Da ich von intelligenten, gebildeten, belesenen Müttern schreibe, liegt für mich eine Schlussfolgerung nahe: im Umgang mit Säuglingen geht es wenig um rationale sondern vielmehr um hoch emotionale und zudem meist unbewusste Inhalte. Und es geht um die Idee, dass es für die Mutter etwas richtig zu machen gilt beziehungsweise so falsch, dass ihr Kind Schwierigkeiten bekommen könnte, sein Leben zu meistern. Sie scheint die alleinige Verantwortung dafür zu tragen, dass ihr Kind von der Gesellschaft anerkannt wird. In diesem „Richtigen“ kommt sie selbst als Subjekt mit eigenen Wünschen und Notwendigkeiten jedoch kaum vor beziehungsweise erst wieder, wenn es um den beruflichen Wiedereinstieg geht, dann aber seltsam abgespalten von der (Eltern-) Zeit zuvor. Mütter bringen offensichtlich nach wie vor eine enorme Bereitschaft mit, sich für das Wohl ihres Kindes quasi aufzuopfern und dabei zu verleugnen, dass sie ein eigenständiges Wesen sind, dessen Bedürfnisse nicht zwangsläufig mit denen des Babys übereinstimmt. Darüber mit anderen zu sprechen scheint mit einem Tabu belegt, es geht meist ausschließlich um die Bedürfnisse des Kindes, welche unabhängig von der betreffenden Frau diskutiert werden. Aktuelle Ratgeberliteratur macht es Frauen eher noch schwerer, ihre ganz persönliche Intuition im kontinuierlichen Umgang mit dem neugeborenen Wesen Schritt für Schritt zu finden und dadurch den für sie stimmigen Weg ihrer Mutterschaft zu entwickeln. Zwar wird in zahlreichen Büchern gerne auf die „mütterliche Intuition“ hingewiesen, diese aber meiner Ansicht nach missverständlich als etwas (biologisch) Gegebenes dargestellt, auf was frau nur zurückgreifen muss. Gelingt dies einer Frau nicht vom ersten Moment an und ich halte das für die wahrscheinlichere Variante, kommt sie nur noch mehr unter Druck, bestätigt es sie unbewusst doch in möglichen eigenen Idealisierungstendenzen.
Wo wird die Frage gestellt, was die Mutter selbst eigentlich braucht, um all das zu bewältigen? Wo geht es um ihr Empfinden im alltäglichen Geschäft der Säuglingspflege? Wo findet sie die Kraft, jeden Tag neu ihre Arbeit zu verrichten und dabei lebendig zu bleiben? Und was bräuchte sie, um die Chance, welche im miterlebten Neubeginn eines Lebens liegt, zu ergreifen und nicht im Strudel der Überforderung unterzugehen?
Zusammenfassung und Fazit. Ich habe die Fürsorge für ein Neugeborenes verglichen mit regressiven Phasen in der psychoanalytischen Situation. Sowohl in der Therapie als auch in der Zeit nach einer Geburt liegt ein enormes Entwicklungspotential für die Mutter verborgen. Dieses speist sich aus der Begegnung mit rohen psychischen Zuständen, die je nach individueller Ansprechbarkeit eine Sogwirkung entfalten können, die im Inneren vieles auf den Kopf stellt.
Nicht jede Frau erlebt mit dem Muttersein automatisch Verzweiflungsmomente und archaische Gefühlszustände. Es kann aber sein. Und es ist womöglich nicht ganz selten, denn das Beisammensein mit einem unreifen Säugling kann eine Grenzbelastung werden. Vieles muss bewältigt werden, was im bisherigen Leben kaum ins Zentrum des Erlebens gerückt ist. Ich gehe davon, dass die meisten erwachsenen Menschen unseres Kulturkreises, der von Machbarkeitsideen und Kontrollvorstellungen geprägt ist, heutzutage sehr darum kämpfen, die mit Baby erlebbaren Abhängigkeitsgefühle ertragen zu lernen, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen und sich zeitweise dem Rhythmus des Kindes anzupassen. Hinzu kommen die eigenen Konflikte eines jeden Elternteils, die durch die Konfrontation mit psychischem Rohmaterial in Kombination mit der belastenden äußeren Situation in erhöhtem Maße aktiviert werden. Welche Fähigkeiten und Kompetenzen bringt die einzelne Mutter mit, neben der 24-Stunden-Fürsorge auch noch mit ihren eigenen Themen zu jonglieren? Und darin genau liegt aber das Potential. Die Möglichkeit (ähnlich eben einer therapeutischen Situation), sich auf einen ungewissen Prozess einzulassen, die gelockerte Abwehr und damit einhergehende psychische Offenheit als Chance zu ergreifen, Lebensthemen neu anzugehen, neue Lösungen dafür zu finden. Die wenigsten Mütter wissen jedoch um dieses Potential und darum, mit welch harter psychischer Arbeit sie es zu tun haben. Sie müssen es deshalb einfach irgendwie machen. Oft gelingt ihnen dies auch so, dass sie zurechtkommen. Aber eben nicht immer. Ich glaube, dass die Dunkelziffer derjenigen mit depressiven Stimmungen nach einer Geburt wesentlich größer ist als angenommen und habe versucht, diese Annahme in meinem Text herauszuarbeiten.
Die Arbeit in der Frühzeit der Mutterschaft ist nach wie vor – wider anderslautenden Lippenbekenntnissen – kaum anerkannt. Zwar gibt es einen wissenschaftlichen Konsens über die Bedeutung der ersten Jahre eines Kindes, allerdings fehlen auf der anderen Seite die haltgebenden Strukturen, welche der Mutter größtmögliche Unterstützung anbieten würden, dieser Bedeutung auch gerecht zu werden. Es existiert kein Konzept eines engmaschigen Hilfsangebots für Frauen, die geboren haben in dem Sinne, dass ihnen geholfen wird, sich ihre „Zustände“ zu erklären und für das eigene, fremd erlebte Empfinden Verständnis zu entwickeln. In einer unbewussten Idealisierung der Mutterschaft wird stattdessen davon ausgegangen, dass Frauen diese massive Umbruchssituation problemlos meistern. Dabei werden sie mit kindzentrierten Ratschlägen versorgt, welche oft den Erwartungsdruck und die Angst, etwas falsch zu machen, vergrößern. Auf Basis unbewusster Idealisierungstendenzen hinsichtlich der mütterlichen Rolle, wächst so die Anspruchshaltung der Frauen an sich selbst ins Unermessliche. Das verhindert, dass über die Nöte und Ängste des Zusammenseins mit einem Säugling offen gesprochen werden kann. Besonders aggressive Regungen oder Gefühle des Verlusts über das alte Leben finden keinen Platz. Der Hass in der eigenen Psyche ist nicht verhandelbar und wird dadurch aber nicht bewältigt. Stattdessen konkurrieren Frauen miteinander darum, die bessere Mutter zu sein, es richtiger zu machen mit dem Kind als andere.
Die Hauptproblematik liegt meiner Ansicht nach in dem Widerspruch zwischen Sichtbarem und Unsichtbaren, welchen ich versucht habe zu beschreiben. Sichtbar ist eine Frau heutzutage mit allen Freiheitsgraden versehen. Ob sie überhaupt schwanger wird, wann sie schwanger wird, mit wem sie schwanger wird, wo sie gebärt, ob sie stillt oder nicht, wann sie abstillt, wann sie wieder arbeiten geht, wann das Kind fremdbetreut wird, wie sie ihr Kind erzieht: sie hat scheinbar die Wahl und ist dahingehend selbstbestimmt. Trotz aller Wahlfreiheit und unleugbaren Fortschrittlichkeit der strukturellen Gegebenheiten werden die Geburt sowie die anfängliche Mutterschaft jedoch von vielen Frauen nach wie vor als existenzielle Ereignisse erlebt, die erschüttern. Sie können die kraftvolle Wirkung entfalten, sowohl mit eigenen frühen Strukturen als auch ungelösten Konflikten in Kontakt zu bringen. Und auf diesen psychischen Ebenen, die in ihrer Beschaffenheit oft wenig mit dem intellektuellen Bewusstsein zu tun haben, sieht es mit der Wahlfreiheit hinsichtlich einiger Themengebiete möglicherweise anders aus. Doch wenn frau von all dem nichts weiß, kann passieren, dass sie sich gegenüber unbewussten Massenbewegungen hilflos ausgeliefert fühlt und daran verzweifelt.
Sowohl auf individueller als auf kollektiver unbewusster Ebene existiert nämlich parallel ein enormer normativer Druck hinsichtlich nahezu aller Themen rund um Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung. Tradierte Muster, Werte und Konflikte präsentieren sich einer Mutter mit Säugling zumeist in rohem Zustand – seien es eigene innere Kämpfe, sich heftig aufschaukelnde Paardynamiken oder moralisierende Kommentare von Außenstehenden. Auf all dies sind Frauen nicht vorbereitet. Sie wissen im wahrsten Sinne des Wortes nicht, wie ihnen geschieht. Und genau durch dieses Nichtverstehen und die gleichzeitige Unmöglichkeit, aus dargestellten Gründen darüber mit anderen Betroffenen ins Gespräch zu kommen, bleiben Frauen nach einer Geburt mit dem inneren Chaos allein. Dadurch kann die Chance nicht genutzt werden, sich vertrauensvoll und gehalten einem Prozess zu überlassen, der das Potential für eine tiefgehende psychische Transformation der Frau enthält.
Früher hieß es – um ein Kind zu erziehen braucht es ein ganzes Dorf. Sind wir realistisch, dann ist das nicht völlig verkehrt. Ich habe selber einige jüngere Geschwister und wuchs am Lande auf.
Egal wie viel Mühe sich ein Elternteil (Mutter/Vater) auch geben mag, es fehlt halt doch der Rest vom Dorf. Ob wir das gut oder schlecht finden spielt hier definitiv keine Rolle, sondern lediglich der Umstand, dass einzelne Erziehungspersonen eben auch mal ausgelaugt sind und in einem Dorf zb die Oma, jemand aus der Nachbarschaft oder sonstwer eingesprungen ist.
Vielleicht verdanken wir es der heutigen Corona-Thematik, dass das wieder etwas zurückkehrt – denn sind wir realistisch, dann bedingen gerade die ersten Wochen für BEIDE Seiten die Notwendigkeit von Unterstützung, die wir heute oftmals als „Einzelkämpfer“ nicht mehr haben.
Ob wir das gut heißen oder nicht, Kinder wie Eltern brauchen eben mehr als „nur“ einen einzigen Gegenpart.
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