Liebe S.,
Du schreibst mir am 7. April. 2020: der 7 April ist ein besonderes Datum in meiner Erinnerung. Es hat mit dem Terrorismus in Italien der 70er Jahre zu tun, mit der Rolle der Wörter, der Ideologien, der Gewalt, mit der Faszination der Meister für idealistischen jungen Leute. 7. April war der Name eines Prozesses an einer Generation. Aula Bunker war der sichere Ort.
Lange Zeit habe ich gedacht, wenn ich zehn Jahre älter gewesen wäre, ich hätte mitgemacht.
Ein Datum mit einer langen Geschichte.
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„Denkst du dabei ans Scheitern? Daran, dass der Versuch, sich zu äußern einer weiteren Lüge gleichkommen könnte?“
Ich denke nicht ans Scheitern: die Exposition durch das Schreiben und Veröffentlichen bahnt einen Weg zu den Anderen. Mein „falscher Selbst“ begegnet niemanden, geht immer „quasi haarscharf vorbei“ an meinen Mitmenschen. Der will auch niemandem begegnen, mein falscher Selbst beschäftigt sich mit dem Nascondimento, dem gezielten Verstecken, in dem nie-offenbaren-wollen. Der Dreiviertel Lüge hilft, die Anderen mit halben Wahrheiten zu bespeisen.
„Wer darf die Wahrheit über einen kennen? Erübrigt sich die Frage nicht in dem Moment, wo wir unserer eigenen Wahrheit näher kommen?“
„Zu mir stehen“ ist ein Begriff, eine Redewendung, die in meiner Muttersprache keine direkte, gängige Übersetzung findet. Jeder Versuch einer Annährung ist ein versteifter Ausdruck, ein abstraktes Idiom, das weder etwas zu sagen findet, noch zu zeigen.
Der eigenen Wahrheit näher zu kommen, sie orten zu können, erkennen, bestaunen, ist eine Lebensleistung. Dabei scheitert doch das Schreiben. Scheitert und stolpert und verfehlt das Ziel.
Du hattest Recht. Ich dachte ans Scheitern.
Adesso a nanna.
M.