Hören mit dem dritten Ohr

Assoziative Reflexionen zur inneren und äußeren Welt

Lieber F.

13. April 2020


Letztens meintest Du im Vorbeigehen zu mir, dass die Psychoanalyse wohl daran scheitern wird, etwas zu diesen verrückten Zeiten zu sagen.
Ich war etwas verwundert über Deinen Pessimismus. „Wir haben doch etwas zu sagen.“ – „Ja, WIR schon.“ – „Und wer ist die Psychoanalyse dann, wenn nicht wir?“
Es war keine Zeit, unser Gespräch zu vertiefen. Aber den Rest des Tages ist mir das nachgegangen. Und wie Du siehst, bin ich immer noch damit beschäftigt. Für mich hat die Psychoanalyse unendlich viel zu sagen. Gerade jetzt. Aber das hast Du ja nicht bestritten. Nur, dass es ihr auch gelingen würde, es tatsächlich zu tun.
Ich glaube, in einem Punkt hast Du vermutlich tatsächlich Recht, auch wenn ich noch nicht weiß, ob ich diesen Punkt rhetorisch finden kann. Aber DIE Psychoanalyse wird tatsächlich scheitern, sich zu Wort zu melden. Sie wird nicht nur daran scheitern, sich zu den Umständen der aktuell um sich greifenden Pandemie und ihren vielfältigen Folgewirkungen zu äußern, sondern daran, überhaupt etwas zu sagen zu haben. Etwas, was von Relevanz wäre. Politisch. Gesellschaftlich. Ethisch. Menschenbildlich.

Wer ist denn DIEse Psychoanalyse? Die Schweigende. Warum äußert sie sich nicht? Hat sie sich zurückgezogen in die eigenen vier Wände, wo sie im besten Fall noch für einzelne Menschen als therapeutische Methode wirksam werden kann? Wo lese ich von ihr? Wo trägt sie bei zum Verständnis einer gesellschaftlichen Krise? Die weitaus größer ist, als Corona uns vorzugaukeln vermag.

Ich glaube, wenn wir von DER Psychoanalyse sprechen, sprechen wir nicht von Inhalten. Dann sprechen wir von einem Glaubenssystem. Es geht dann nicht um den Versuch, die vielfältigen Weiterentwicklungen und Denkrichtungen seit Freud integrierend denken zu können. Es geht vielmehr um ein verkrustetes Gebilde, das den Hintergrund einfärbt. Von dem es sich so schwer zu lösen scheint.

Erst letztens hatte ich mit einem Analytikerkollegen eine Diskussion über unser Verständnis von Abstinenz. Als ich meine Haltung dazu ausführte – ja, ich war provokativ, irgendetwas hatte mich bereits geärgert, aber ich bewegte mich meiner Ansicht nach sehr in den Grenzen geltender Theorien über Abstinenz als analytisches Ideal, das immer wieder neu errungen werden muss und eben nicht als statische Vorbedingung – wurde er schnell ziemlich attackierend. Hinter der Ausstrahlung tradierter Überlegenheit, wie gesagt das Gebilde im Hintergrund, ging seine Argumentation, die mich inhaltlich durchaus anzuregen in der Lage gewesen wäre, meinem Empfinden nach ziemlich unter die Gürtellinie. Als wäre ich mit meiner Überzeugung nicht als „analytisch“ (genug) einzuschätzen und von daher keiner weiteren Beachtung wert. Ich bin sehr sicher, dass er mich schätzt. Das macht es eher komplizierter als leichter.

Es geht um etwas Unsichtbares, was es so schwer macht, mit psychoanalytischen Ideen in Erscheinung zu treten. Es sind die Implizitheiten, die das Schweigen konstituieren. Welche nicht in den Vielfalt versprechenden Theorien auftauchen. Es geht um die Analytikeridentität. Die so eng mit der Methode verknüpft zu sein scheint. Zu eng. So dass nicht gewagt werden kann, als Analytiker eine öffentliche Position zu beziehen. Weil die Angst, dadurch zu viel zu offenbaren von sich, der eigenen ungelösten Konflikthaftigkeit oder gar zugrundeliegenden strukturellen Problematik, nicht bewältigbar scheint. Es geht um die unhinterfragte Weitergabe von Machtpositionen. Es geht um unbewältigte Geschichte(n). Es geht um unser geistiges Erbe. Doch was haben wir geerbt?

Ich bin nicht so sehr mit den Schwierigkeiten der „Alten“ beschäftigt, sich zu lösen, ihren Platz frei zu geben für die nachfolgende Analytikergeneration, Sitze rechtzeitig zu verkaufen oder Chefarztposten frei zu geben, also das materielle Erbe ganz real zu verteilen. Ich bin mit uns beschäftigt. Damit, wie verdeckte Identitätsunsicherheiten unserer (Analytiker)Eltern zu einer mehr als ambivalenten Identifikation beiträgt und uns daran hindert, Verantwortung zu ergreifen. Etwas wirklich Neues zu wagen. Neue Worte zu finden. Eine neue psychoanalytische Sprache. Eine, die in die Welt getragen werden kann und mitspricht, wenn es um relevante Themen geht. Es geht um die Generationenfrage wie ich finde. Und um unaufgelöste Idealisierungsprozesse. Welche die Ablösung so schwer machen, so riskant. Wie können wir eigene Worte finden, eine psychoanalytische Identität entwickeln, die auch und besonders außerhalb der Community Bestand hat? Sich auch außerhalb der eigenen vier Wände beweisen kann. Ich finde, dass die Psychoanalyse, dass WIR etwas beizutragen haben, auch wenn es um Fragen geht, die über die eigene Zunft hinausgehen. Emanzipation 2.0 sozusagen. So zumindest meine Vision. Aber ich bin ja auch Analytikerin. Zumindest werde ich mich weiterhin für eine halten, so lange nicht zu viele andere etwas anderes behaupten.

Wir beide haben unser flüchtiges Gespräch später dann noch fortgesetzt. In einer größeren Gruppe. Mit psychoanalytisch denkenden Kollegen unterschiedlichster beruflicher Sozialisation. Es ging um unsere jeweiligen Ängste in der wie auch immer existenzbedrohenden oder zumindest so wirkenden Situation der Corona-Pandemie. Die einzelnen Positionen waren wirklich sehr unterschiedlich. Aber es waren wieder viele Elternpaare mit am Tisch. Uneingeladen. Einfach so. Dass sie auch Angst haben oder zumindest unsicher sind, wäre ja nicht das Problem. Nur zu behaupten, keine zu haben, ist problematisch. Es ist nicht beruhigend, Zeugin von Verleugnungen zu werden. So wird die Angst (und alles andere Unverdaute) weitergereicht. In der Identifikation mit denen, die Angst zu nehmen versprechen (als ob das möglich wäre), sich ihre eigenen jedoch nicht eingestehen, bleiben paranoide Ängste bestehen und perpetuieren in neuer Form. Nur, dass das Fitnessstudio zu ist, ist doof. Kino wäre auch mal wieder schön. Auf jeden Fall mehr Normalität. Anstecken tun wir uns ja eh alle. Ach ja?

Es ist so schwer, miteinander zu sprechen. Es ist ganz und gar nicht klar, wo die Ansteckungsängste hingehen. Mit was wir uns da anzustecken meinen. Ich weiß oft nicht, wo der Zugang liegen könnte. Die Psychoanalyse hat Grenzen, die außerhalb der psychoanalytischen Idee liegen. Meintest Du das?

Wir sollten bei unserem nächsten musikalischem Treffen unbedingt mit Arvo Pärts Spiegel im Spiegel anfangen. Es würde mich wirklich sehr interessieren, wie sich das Stück in diesen Zeiten in uns zu entfalten weiß.

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