Hören mit dem dritten Ohr

Assoziative Reflexionen zur inneren und äußeren Welt

Das Drehbuch in der Schublade…

24. April 2020


Liebe M., ich musste ein paar Gedanken zu einem vorläufigen Ende führen, bevor ich Dir wieder schreiben konnte.

Dabei habe ich so viele Fragen an Dich. An Mich. An Dich. Die Wächterin. Hüterin. Behüterin. Bewahrerin. Beschützerin. Die verborgenen Geheimnisse. Hinter der dreiviertel Lüge. Was liegt eigentlich noch alles in den Kisten deines Lebens? Am Montag noch fühlte ich mich so gierig. Es war, als hättest du mir einen Tisch gedeckt, der sich bog vor Köstlichkeiten. Der, die, das. Ungeahnte Genüsse. Hannah Arendt und die Holzwege. Die Kunst. Patrizia Cavalli. Die Schönheit. Ästhetik. Die ganze Welt. Du hast meine Verwirrung gespürt. Und mein Verlangen. Der Versuch einer Antwort folgt hier. Ich war die vergangenen Tage nun also damit beschäftigt, um den gedeckten Tisch herumzuschleichen. Die Speisen zu begutachten. Ein bisschen zu schnuppern. Mich darauf zu freuen, von dem ein oder anderen zu kosten. Ohne die Angst, dass irgendwann einmal nichts mehr übrig sein könnte. Und ich hungrig bleibe. Zwischenzeitlich habe ich den Anblick dieses Schlaraffenlandes gar nicht ausgehalten. Es war, als flössen alle Sehnsüchte meines bisherigen Lebens zu diesem Festmahl hin. Das war zu viel. Und ist es noch. Ich habe mich also an die Fastfood-Bude geschlichen. Mit unverdaulichen Nahrungsmitteln kenne ich mich aus. Sie schrecken mich nicht. Auch wenn sie mich nicht satt machen. Nur voll. Und hässlich. So richtig von innen heraus. Fettseele. Die Bewegungsfreiheit immer weiter einschränkt.

Der Genuss des maßvollen Essens ist mir in meinem Leben bisher tatsächlich fremd geblieben. Die Gier meine beste Freundin. Habe gierig geschlungen. Immer in der Hoffnung, den Hunger nur endlich stillen zu können. Dieses maßlose Tier in der Tiefe. Ich habe es mit Sehnsucht gefüttert. Diese aber nicht gekaut. In dicken Brocken runtergeschluckt. Mich allzu oft beinahe verschluckt. Alle Willenskraft hatte nicht ausgereicht, mich zum Genuss zu zwingen.

Ich habe mich oft gefragt, ob meine Suche eigentlich lächerlich ist. Eine Anmaßung in sich. Ein Treffen der Ambivalenzen würde dieselben vielleicht nur aushebeln. Und was bliebe dann. Und nun stehe ich vor diesem Tisch. Sehe Weite und Grenze zugleich. Spüre meine Gier und lass mich von dir gerne zum Einhalten von Maß anhalten. Das hat noch keiner gedurft. Nicht seit ich 3 Jahre alt bin. Stattdessen hat sich die Gier mit sich selbst gequält. Ich bekomme gerade eine Idee davon, was es heißen könnte, ein schmackhaftes Essen zu genießen. Trinken ohne betrunken zu werden. Weil das so dumm ist. Auch wenn es die Angst dämpft. Die Angst vor der Freiheit.

Angst vor dem Wiederholungszwang. Eigentlich macht mir der überhaupt am meisten Angst. Die Vorstellung, dass wir alle nicht an ihm vorbeikommen. Er der Fluss unseres Lebens ist, in dem wir getragen werden. Sozusagen die verinnerlichte Konvention. Aus der man nicht einfach aussteigen kann. An dem sich alle Sehnsüchte abarbeiten. Die geschriebenen Drehbücher bleiben im Zweifel dann doch in der Schublade. Kommen nie zur Aufführung. Selbst wenn die Schauspieler bereit stehen. Die Bühne existiert. Stattdessen werden die anderen bekocht. Die Kinder brauchen doch ihre Mutter. Das hatte man halt irgendwann einmal so entschieden. Und der Mann, was soll der ohne einen mit seinem Leben schon anfangen? Und außerdem: gib dich doch endlich mal zufrieden mit dem, was du hast, was du kannst, was du bist. Du kannst nicht alles haben. Nicht alles sein. Ja. Stimmt. Aber vielleicht ein bisschen mehr. Schritt für Schritt. Maßvoll. Mit Genuss. In die Freiheit.

Ich werde über den Wiederholungszwang systematischer nachdenken müssen. Wenn meine Annahme stimmt, dass er unvermeidlich ist, geht es nicht ums Aussteigen, wie ich bisher dachte, sondern darum, ihn sich anzueignen. Nicht nur geschehen lassen. Hypothesen.

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