Mein erster Gedanke: ich muss aufpassen. Wenn ich als Frau über Partnerschaft, Männer, Frauen und dann auch noch Sex schreiben will, ist das nicht ganz ungefährlich. In mehrfacher Hinsicht. Die äußeren Gefahren sind vielfältig, denn wo auch immer ich gedanklich landen werde; ich könnte auf dem Weg dorthin das Heiligtum unserer heteronormativen Gesellschaft angreifen. Mann, Frau, Kind. Die Kleinfamilie ist doch die in der Breite unhinterfragteste Kategorie unseres derzeitigen gesellschaftlichen Zusammenlebens. Es gibt quasi nichts an meiner Art zu leben, wofür ich mich hierzulande rechtfertigen müsste. Nichts, was für eine Mehrheit oder noch nicht einmal für eine Minderheit ernsthaft bedrohlich wäre. Die paar Wenigen, die sich wundern, dass ich mich nach langjähriger Beziehung mit Kindern immer noch gegen das Heiraten an und für sich und auch im Speziellen positioniere, fallen nicht ins Gewicht. Ich lebe total unbehelligt. Ein bisschen zu unbehelligt, denn auf meinem steinigen Weg der versuchten Emanzipation fühle ich mich mitunter ziemlich allein. Und ich muss fürchten, dass sich daran auch nichts ändern würde, dächte ich endlich einmal laut über die vielfältigen Schwierigkeiten der Heterosexualität oder der heterosexuellen Beziehung oder der Beziehung zu einem Mann, gar noch einem bestimmten nach. Vielleicht täusche ich mich. Und es gibt sie doch. Die ganz normalen, also nicht-öffentlichen Frauen und Männer, die an einer tiefergehenden Art der Befreiung aus Geschlechterkategorien, wie vielfältig sie auch sein mögen, an wirklicher Gleichberechtigung interessiert sind. Und die sich dabei ähnlich abmühen wie ich. Bei allen ernsthaften Anstrengungen immer wieder zu scheitern drohen.
In der Vergangenheit habe ich mich schon manchmal geschämt angesichts meiner bloßen Zugehörigkeit zu einer solch schnöden Kategorie. Als gehörte ich da eigentlich nicht hin. Heteropaar mit Kindern. Gähn. Was ist von einer Frau in diesem warmen Nest der fraglosen öffentlichen Akzeptanz schon an progressiver Kraft zu erwarten. Die Scham hat dabei etwas mit der Bequemlichkeit zu tun, der satten Zufriedenheit der Anpassung. Es ist doch zugegebenermaßen so leicht, sich in Kategorien zurückzuziehen. Ein bisschen zu meckern aus sicherer Distanz. Aber letztlich doch alles in der Vertrautheit zu belassen. Erstes Kind. Gewöhnung. Rückkehr zur Gleichberechtigung. Paar mit Kind. Zweites Kind. Spätestens zwischendrin Heirat. Elternzeit. Ein bisschen der Mann. Immerhin. Mehr die Frau. Aber frau stillt ja auch. Arbeiten klar. Irgendwann wieder. Aber mehr als der Mann nicht. Eher weniger. Warum eigentlich nicht. Weil frau das so will. Könnte ja anders. Klar. Alles ist möglich heutzutage. Das muss jeder für sich entscheiden. Und kann das ja auch. Genau. Drittes Kind. Ende des Gesprächs. Gibt ja auch nichts mehr zu sagen, wenn alle zufrieden sind. Außer mir.
Ich war früher immer ein wenig neidisch auf sichtbare Minderheiten. Besonders auf diejenigen mit abweichender sexueller Identität. Sah lange in ihnen diejenigen mit der wahren Chance auf persönliche Befreiung, seelische Individuation. Weil sie, so meine Vorstellung, gar nicht anders könnten, als sich mit ihrer Andersheit zu beschäftigen. Nicht, weil sie wirklich so furchtbar anders wären als der große Rest. Sondern weil es ihnen von ebendiesem zugeschrieben wird, sie ausgeschlossen vom sicheren Hafen der Mehrheitsnorm zu Andersartigkeit quasi genötigt werden. Und, so dachte ich in meinem jugendlichen Leichtsinn, wer eh nicht dazugehört, kann sich auch noch mehr Schamlosigkeiten erlauben. Und sei es nur in Gedanken. Ich bin gereift. Habe den Schmerz des Ausgeschlossenseins kennenlernt. Der oft nur wenige Varianten offenzulassen scheint: Trotz oder Überanpassung. Oder Heimlichkeit. Eine queere Identität alleine scheint mir mittlerweile keine Garantie mehr dafür zu bieten, über Kategorien wirklich kritisch nachdenken zu können. Diese Erkenntnis wiederum erlaubt mir – aus meiner scheinbar gesicherten Position der von der Masse identifizierten Normfrau – über eben diese Normen kritisch nachzudenken versuchen. Aber dadurch stelle ich natürlich meine eigene sichere Position in Frage. Und das ist immer ein wenig riskant. Auch für mich selbst. Oder besonders für mich. Denn woher weiß ich jetzt schon, auf was ich beim Denken stoßen werde?
Ich habe mich in den letzten Jahren immer wieder mit Frauen beschäftigt, die mich faszinieren. Die es gewagt haben, die Öffentlichkeit zu suchen mit ihrem Denken. Die sich bewusst mit ihrem Frausein beziehungsweise ihrer Zugehörigkeit zu dieser bei allen Versuchen der Dekonstruktion von Gender nach wie vor für uns so zentralen Kategorie beschäftigt haben. Diese, ohne sie zu negieren oder voreilig zu relativieren, für sich ausgestalten. Sich mehr herausnehmen, als die meisten Frauen es wagen. Immer noch nicht. Die ein oder andere derjenigen Frauen, an die ich denke, meist 15 bis 30 Jahre älter als ich, hat immer schon mit Frauen zusammengelebt. Frauen begehrt. So zumindest zu vermuten, wenn auch über das Begehren insgesamt wenig bekannt ist. Andere Frauen haben in konventioneller scheinenden Beziehungen mit Männern gelebt, Kinder geboren, erzogen, dann im späteren Leben die Partnerschaft gelöst, um mit einer Frau zu leben. Das beschäftigt mich. Frauen, die das Leben begehren und zudem Frauen begehren, treiben mich um. Wird das auch meine Lösung sein in der Zukunft? Wenn das Projekt Familie mit den ihm eigenen Pflichten, Notwendigkeiten und Praktikabilitäten ein vorläufiges Ende findet? Der Gedanke hat eine Art befreiende Wirkung auf mich. Er scheint mich meinem Begehren näher zu bringen. Ich glaube nicht besonders stark an eine verleugnete homosexuelle Komponente, wenn ich mich solchen Fragen stelle. Es hat immer begehrenswerte Frauen gegeben. Und begehrenswerte Männer. Und dann sind da diese alten Versprechen in meiner normativen Frauenseele. Diese Linien der Konvention. Die nicht einfach mal so überschritten werden können. Die tief eingeschriebenen Aufträge der Generationen von Frauen vor mir. Die ererbten Beziehungsstrukturen. Die in den Körper eingeschriebenen Erfahrungen von Einschränkung und Begrenzung – auch oder gerade aufgrund des Geschlechts. Wenn auch nur unbewusst. Gerade weil. Und diese Grenzlinien des Begehrens. Ich sagte es schon. Also erst einmal bei Schusters Leisten bleiben: der Heterosexualität meines Daseins. Ich will die Suche nach meinem Begehren in der Beziehung zu einem Mann noch nicht aufgeben, bevor ich nicht noch einmal versucht habe, wirklich ehrlich zu sein. Ihm gegenüber. Aber vor allem mir gegenüber.
Ich will also über meine Beziehung zu Männern nachdenken. Und die Frage, warum das mit der Emanzipation so verdammt schwer ist für mich. Nicht nur in der partnerschaftlichen Beziehung. Aber da besonders. Auch und gerade wegen der sexuellen Komponente. Ich kann es dabei erst einmal nur von Frauenseite her denken. Auch wenn mir sehr bewusst ist, dass es ein beidseitiger Prozess sein muss. In jeder individuellen Beziehung. Emanzipation ist auf jeden Fall nichts, was wir den FeministInnen dieser Welt überlassen sollten. Schon gar nicht, seit der Feminismus sich offensichtlich selbst zu unterminieren scheint. Aber dazu an anderer Stelle. Wenn ich wirklich etwas verändern will, brauche ich Mut. Und Ehrlichkeit. Ich weiß, dass ich bei der Suche nach der Gleichberechtigung und ihrer Verhinderung auf unangenehme Dinge stoßen werde.
Und da bin ich wieder am Anfang. Es ist gefährlich, als Frau über Sex wirklich laut nachzudenken. Ich bin noch nicht ganz so weit. Nicht heute.