Es ist schwer, ehrlich über die eigenen Kinder zu sprechen. Denn über die eigenen Kinder zu sprechen könnte immer dazu führen, auch etwas über sich selbst auszusagen. Und das wird ja gemeinhin lieber vermieden. Dabei ist es natürlich nicht so, als könnte man nicht Stunden und Tage damit zubringen, sich gegenseitig Anekdoten aus dem Leben mit Kindern zu erzählen. Lustiges. Berührendes. Ärgerliches. Fragliches. Es gibt eine Menge Geschichten, die erzählt werden wollen. Und unter Eltern entsteht schnell eine Art Ansteckungseffekt dahingehend. Was man sich alles schon Kluges gedacht hat. Was man für richtig hält. Wie man was sieht. Wie man die jeweilige Entwicklungsphase beurteilt. Und so weiter. Je länger der Zeitraum allerdings andauert, in welchem es zwischen Erwachsenen über die jeweiligen Kinder geht, desto mehr sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass miteinander gesprochen wird. Also von sich. Nicht diese Stellvertretergespräche über „die Kinder“, wo das Eigentliche meist nicht benannt wird. Stattdessen die enthaltenen Themen quasi indirekt verhandelt werden. Und es dem Zufall überlassen bleibt, wer was wie versteht und interpretiert. Und ob die jeweilige Metapher „Kind“ entschlüsselt werden kann als Beziehungsbotschaft. Es ist mir ein Rätsel, warum erwachsene Menschen sich so schwer tun, sich hilfreich auszutauschen, wenn es um die Frage der persönlichen Entwicklung im Zusammenhang mit den eigenen Kindern geht. Naja, eine kleine Idee habe ich schon. Sie hat etwas damit zu tun, dass wenig Beziehungen so eng mit dem narzisstischen Kern unserer Persönlichkeit, dem Selbstwert in Wechselwirkung stehen wie die eigenen Kinder. Mir geht es da übrigens ja kein bisschen anders, wie ich letztens feststellen musste. Diese ganzen Schuldgefühle in Bezug auf die Kinder. Diese unzähligen Ängste, etwas falsch gemacht zu haben in den vergangenen Jahren. Möglicherweise immer noch dabei zu sein, das meiste falsch zu machen. Etwas verpasst zu haben, zu verpassen, was nicht nachzuholen sein wird. Dem Kind damit einen ewigwährenden Schaden zugefügt zu haben, der spätestens in der Schule, allerspätestens danach anhand eines scheiternden Lebensentwurfs deutlich werden wird. Und dann. Wird alles alles alles auf mich zurückfallen. Werden meine fehlgehenden Erziehungsansätze endgültig offenbar. Und gerade ich als Psychotherapeutin hätte es ja wohl besser wissen können. Besser machen müssen. Ach herrje. Bei so viel gehemmtem Narzissmus, getarnt unter dem Deckmantel der bescheidenen Minderwertigkeit, kann das mit dem Miteinandersprechen, also dem ehrlichen, wirklich nichts werden. Und wie soll man derart schamängstlich auch voneinander und miteinander lernen? Wie kann man sich da offen fragen, warum man was macht, fühlt, nicht macht, nicht fühlt, ablehnt, hasst, woran man verzweifelt und so weiter. Fragen, die man aber so dringend bräuchte, um wirklich etwas in sich zu verändern. Die eigene Perspektive auf den Kopf zu stellen.
Dabei sind Kinder, zumal die eigenen, eine nahezu unerschöpfliche Quelle für Selbsterfahrungserlebnisse. Und die Frage, was unsere Kinder uns lehren beziehungsweise wie wir von unseren Kindern wirklich lernen können, eine total spannende. Ich denke hier an Connie Palmen und was ich letztens erst bei ihr gelesen habe (übrigens in dem kleinen Büchlein „Die Sünde der Frau“). Sie stellte die Frage, wozu ein Ehemann denn ansonsten gut sein sollte wenn nicht dafür, echter zu werden. Ich finde diesen Gedanken überzeugend und würde ihn auf die Beziehung zu den eigenen Kinder (wie auch auf alle anderen relevanten Beziehungen) ausweiten wollen. Welchen Sinn geben sie uns denn? Warum sollte man die Mühseligkeiten der Elternschaft auf sich zu nehmen, wenn nicht ein immenser Gewinn darin liegen würde? Naja. Sagen wir mal eine Chance. Ein Potential. Ausgangshypothese: Kinder zu bekommen und mit diesen zu leben ist kein reines Vergnügen. Es ist vielmehr völlig unnütz, die Tatsache der Elternschaft oder die Existenz von Kindern im Leben als Bereicherung per se zu idealisieren. Diese Art von Idealisierung in Verbindung mit der vielzitierten bedingungslosen Elternliebe, die da über einen kommen soll mit der Geburt neuer menschlicher Wesen, führt an und für sich noch zu gar nichts. Wobei ich schon ein großer Fan von Idealisierungsprozessen bin. Es ist ein Geschenk, sich immer wieder verlieben zu können. Sei es in einen Menschen, eine Erfahrung oder eine Idee. Und bezüglich der Idee, Eltern zu werden, hilft es immens, sich das eigene Baby als vollkommenes Glück auf Erden oder Vervollkommnung der Partnerschaft oder des eigenen Selbstbildes (oder oder oder) vorstellen zu können. Die Idealisierung ist also keineswegs unnütz, betrachtet man sie als Eingang in einen Prozess, der einem alles abverlangen wird. Zumindest, wenn man wirklich etwas anders machen, sich währenddessen wirklich verändern und reifen will. Und anders machen wollen es ja eigentlich die meisten. Anders als die eigenen Eltern, denen man so viel vorzuwerfen hat. Oder zumindest anders als diese anderen Eltern, die man in der Vergangenheit hin und wieder nur müde belächelt hatte. Bestenfalls will man es nicht nur anders machen, sondern sogar besser. Das Problem scheint mir nur, dass die Storyline der Idealisierung sich dabei zu wenig variabel entwickeln darf. Einmal auf der Welt, müssen Kinder meist weiter idealisiert werden. Als Glück, das über einen kam und alles veränderte. Selbst, wenn das immerwährende Scheitern an einer perfekt erträumten (bedingungslosen) Zuneigung längst offensichtlich geworden ist, halten Eltern gerne und geradezu stoisch an dieser Erzähllinie fest. Selbst dann, wenn die Verzweiflung allzu sichtbar Einzug gehalten hat, die eigenen Grenzen schmerzhaft erreicht wurden, wird wenig über die Enttäuschung gesprochen. Es ist, als dürfte die Beziehung zum eigenen Kind nicht als bedrohlich krisenhaft erlebt werden. Als bekomme der Gedanke erst gar keinen Raum, dass das Leben ohne Kinder schöner war. Wäre. Gewesen wäre. Einfacher. Weniger herausfordernd. Mit weniger Versagensängsten. Weniger Gefühlen des Scheiterns. Weniger Kränkungen. Und all dem anderen unangenehmen Gefühlskram. Ich wünsche mir das oft. Ein Leben ohne Kinder. In dem ich phantastisch viel Zeit und Raum für all meine kreativen Betätigungsfelder habe. Wo der Boden nie mehr voller Krümel ist. Die Fenster ohne schmierige Fingerabdrücke. Die freien Abende schon um 17 Uhr beginnen. Urlaub wirklich Urlaub wäre und nicht ein großes Theater beim Versuch, per se nicht vereinbare Interessen unter einen Hut zu bringen. Mein Leben wäre ein Traum. Von morgens bis abends. Ähnliche Phantasien kenne ich in Bezug auf den richtigen Partner übrigens auch. Wenn er nur anders wäre, wenn er nur das könnte, wenn er nur ein bisschen so wie wäre, wenn ich nur einen ganz anderen hätte…dann wäre die Liebe so, wie ich sie mir vorstelle. Okay, ich schweife ab. Um was ging es mir? Idealisierungsprozesse und das Festhalten an ihnen. Und die Schwierigkeit, sich Schwierigkeiten einzugestehen. Krisen als solche anzuerkennen und die Chance, welche darin liegt, sie zu erkennen (unzweifelbar mein Lieblingsthema derzeit). Das Problem beginnt doch da, wo wir mit aller Kraft die Wahrnehmung der Krise abwehren und an der Idealisierung festhalten. Das, was ein verheißungsvoller Beginn war (Geburt, Verlieben oder was auch immer hoffnungsfroh angefangen hat), wird nun zur Falle. Wenn ich etwas gelernt habe (und das heißt nun beileibe nicht, dass ich deswegen nicht immer wieder auf diese heißen Versprechen des Unbewussten hereinfalle), dann das, dass Idealisierung das Gegenteil von Beziehung ist. Vielleicht sollte man sagen, das Gegenteil von nachhaltiger Beziehung. Diese erfordert nämlich mehr als ein Strohfeuer. Zumindest, wenn einem daran gelegen ist, sich zu verändern. Zu entwickeln.
Kinder bringen uns unweigerlich in Kontakt mit inneren Spaltungsprozessen. Und man muss kein Borderlinepatient sein, um seelischen Spaltungen zu unterliegen. Diese tragen wir alle in uns. Manche mehr, manche weniger. Kinder bringen sie ans Licht. Und bieten uns die riesige Chance einer Intergrationsbewegung an. Gleichzeitig (und hier liegt die Verführung) bieten sie uns ein Projektionsfeld. Ein relativ wenig beschriebenes seelisches Blatt, in das wir unangenehme Selbstanteile recht mühelos auslagern können. Machen wir das aber zu exzessiv, ist die Krise mit den Kindern fast vorprogrammiert. Ich habe den Verdacht, dass Seelen sich nicht unendlich weit dehnen können. (Aber mein Bild von „der Seele“ ist dahingehend noch zu unausgereift und braucht weiterer Denkarbeit.) Die Krise zwischen Eltern und Kindern erinnert dann wieder daran, was doch eigentlich die Chance war. Das Streben zu mehr Integration. Also Reife. Soweit meine theoretische Vorstellung. Klingt nach harter Arbeit. Ist es auch. Nichts ist in Wirklichkeit schwieriger, als einen echten Perspektivwechsel herbeizuführen. Ein solcher hat das Potential zu einer revolutionären Erneuerung. Und wie häufig gibt es schon Revolutionen? Und dann noch in der eigenen Seele? Ich würde wagen zu sagen, dass wenig mehr lohnt, als genau das zu versuchen. Eine seelische Revolution in Gang zu bringen. Aber es wird einem schwer gemacht.
Familie hat zu funktionieren. Familie war ja gewollt. Kinder sind doch verdammt noch mal ein Glück. Und bereichern das eigene Leben uneingeschränkt. Nein, ohne Kinder wäre doch alles anders. So ganz und gar nicht vorstellbar. Doch wie geht das jetzt mit dem Lernen? Dem Wachsen? Der Veränderung? Versuche ich, meine Kinder zu erziehen, indem ich Anpassung an meine Ideen von einem sozialisierten Leben unter Befolgung meiner Regeln erwarte? Da sagt man dann Danke und Bitte und isst ordentlich und vor allem das, was einem vorgesetzt wird. Da bleibt man sitzen, bis alle fertig sind, fragt höflich um Erlaubnis, den eigenen Interessen wieder nachgehen zu dürfen. Macht einen ordentlichen Schulabschluss, tanzt nicht aus der Reihe, sondern im Reigen. Hat Freunde schon im Kindergarten, vor allem auch Freude, interessiert sich für altersangemessene Dinge, spricht nicht dazwischen und so weiter und so weiter…Oder wäre doch das Gegenteil von allem das Beste? Es anders machen als die Eltern. Nicht auf Höflichkeitsregeln bestehen. Essen, wann man will und wie man will und was man will. Immer Alternativen. Möglichst freie Entscheidungen schon im Alter von 2 Jahren. Denn wenn die Anpassung zu früh erfolgt, ist sie schwer zu durchbrechen später. Und wer will schon ein angepasstes Kind? Aber ADHS sollte es natürlich auch nicht bekommen. So eine mittlere Anpassung, das wäre toll. Besonders, aber nicht unangenehm auffällig. Ein bisschen hochbegabt, aber hochkonzentriert. Ohne ausgefallene Ideen bezüglich der Erziehung der eigenen Eltern. Kann man sich das nicht wünschen? Wohin richtet man seine Wünsche bloß bezüglich der eigenen Kinder? Und bin nicht letztlich ich diejenige, die gescheitert ist, wenn all das nicht in Erscheinung tritt, woran ich so hart gearbeitet habe. Was ich mir so sehr gewünscht habe. Es muss sein unverbesserlicher Charakter sein. Oder die Gene des Partners. Weil jede andere Erklärung würde ja zu mir führen. Zu meiner Angst, nicht angepasst genug zu sein. Meinem Bestreben, alles dafür zu tun, keinen Unmut auf mich zu ziehen. Bei gleichzeitigem Wunsch, die absolut besonderste, begabteste und lässigste Person weit und breit zu sein. Tja. Was denn nun. Ich muss konkreter werden, um meine Vorstellungen von innerem Wachstum zu verdeutlichen.
Als ich mit meinem Sohn schwanger wurde, war ich knapp 30 Jahre alt. Es war nicht geplant und war es doch. Von einer tieferen Kraft in mir, die quasi an meinen Denkprozessen vorbei plant und entscheidet. Alle vernünftigen Sachen, die ich in meinem Leben mache, gehen letztlich auf sie zurück. Ja, auf meine Intuition ist Verlass. Schon in dem Moment, wo sich dieser Mann in meiner damaligen WG vorstellte, wusste sie, dass ich etwas von ihm wollen würde. Dass es ein gemeinsames Leben und zwei Kinder sein würden, hätte ich so konkret natürlich nicht denken können. Dennoch. Irgendetwas war sehr schnell gebahnt. Und führte dann auch zu besagter Schwangerschaft. In dem Augenblick, wo der entscheidende rosa Strich auf dem Teststreifen auftauchte, tauchte auch ich aus meinem träumerischen Zustand auf, der mir eben noch so stimmig erschienen war. Das war doch ein gehöriger Schreck. Ah ja, Sex mit einem Mann kann also schwanger machen. So ist das. Irgendeine Seite in mir hatte das ja geahnt. Aber so schnell. Und ich. Das hatte doch irgendwie nichts mit mir zu tun. Ich saß auf dem Badewannenrand und heulte bitterlich. Es war einfach ein Riesenschreck. Das Gefühl noch heute in mir so lebendig, als wäre es gestern gewesen. Ich kenne es aus zahlreichen anderen Momenten. Als wäre ich bei etwas ertappt worden, das mir nicht zusteht. Einem tiefen Wollen. Das sich bis im Alter von 30 Jahren eigentlich nur heimlich zeigen durfte. Nun eignet sich eine Schwangerschaft nicht wirklich für ein Versteckspiel. Aber tatsächlich habe ich genau das versucht. Ich erinnere beispielsweise noch haargenau eine Situation aus dem Supermarkt, wo ich mit meinem Neunmonatsbauch einer anderen Hochschwangeren begegnet bin. Schon als ich sie im Augenwinkel erspäht hatte, begann ein vorbewusstes Ignorieren der Gleichheit unserer Situation, indem ich meinen Bauch auf eine sehr spezielle Art unwirklich werden ließ. Ich egalisierte seine Bedeutung quasi in meiner Selbstwahrnehmung. Keine Ahnung, wie man das schaffen kann oder wie man diese Mischung aus Bewusstheit und Verleugnung nennen soll. Es gehört definitiv in den Bereich des Schamverhaltens. Und da hatte ich unzählige Varianten auf Lager.
Dabei mochte ich es eigentlich, schwanger zu sein. Nie hatte ich mich zuvor so schön gefunden. So richtig in meinem Frauenkörper. Auch im bewussten Zusammensein mit anderen schwangeren Frauen gelang es mir eigentlich gut, mit mir im Kontakt zu sein. Meinem äußerlich so eindeutigen Frausein. Bei aller Uneindeutigkeit bezüglich der Geschlechtlichkeit in mir. Es waren diese heimlichen Momente unter Frauen, die etwas ermöglichten. In der mehrgeschlechtlichen Öffentlichkeit schämte ich mich. Versuchte, nicht schwanger zu sein. Was ein wenig Erleichterung gebracht hatte im Versteckspiel des Begehrens war zu erfahren, dass es ein Junge sein würde, der sich auf den Weg zu uns gemacht hatte. Mutter eines Jungen zu werden schien mir irgendwie okay. Machbar. Bewältigbar. Und auch passend. Wobei ich im Nachhinein denke, dass ich so mehr das Weibliche in mir besser ablehnen konnte als dass ich das Männliche hätte besser annehmen können. Aber ich war auch noch nicht an dem Punkt in meiner Entwicklung angekommen, wo ich über die Geschlechterdifferenz in mir hätte nachdenken können. Schließlich ist das ein revolutionärer Gedanke und mein Hang zum Festhalten am althergebrachten inneren System war immens. (Ist es immer noch. Immer wieder.) Eine Tochter zum damaligen Zeitpunkt hätte mich auf jeden Fall überfordert. So meine starke Phantasie. War ich selbst doch so rege dabei, das Mädchen in mir zu verleugnen. Die Frau abzulehnen. Was für eine Anstrengung. Ich bekomme rückblickend Mitgefühl mit mir selbst und dieser konflikthaften Verarbeitung meiner weiblichen Fruchtbarkeit. Meiner Potenz. Meiner kreativen Weiblichkeit, die Leben in sich wachsen spüren konnte. Auf körperlicher Ebene verlief dahingegen alles völlig unkompliziert. Mir ging es gut. Dem Kind auch. Die Geburt war intensiv und heftig. So wie auch das Kind, das da geboren wurde. Bis heute.
Was hat mein Sohn mich gelehrt? Als er noch aufs Engste mit mir und meinem Körper verbunden war, hat er mich mit meiner Scham konfrontiert. Meiner tiefen Scham über das Frausein. Meiner Scham, ein begehrendes weibliches Wesen zu sein. Eine Frau, die nicht nur offensichtlich ihre Lust ausgelebt hatte (gut, das muss nicht sein, schwanger wird man auch so – aber ich wusste ja, wie es dazu gekommen war) und die offensichtlich auch einen Anspruch auf ihre biologische Kreativität erhoben hatte (wenn auch nur semi-bewusst). Und obwohl das möglicherweise nicht vorgesehen war. Denn schließlich beanspruchte ich ja schon auf anderen Gebieten eine gewisse Potenz. Und alles haben zu wollen wäre des Wollens zu viel. Eindeutig. Zu viel. So hatte ich es doch gelernt: „Mädchen, Du willst zu viel!“
Als er auf der Welt war, befand ich mich die erste Zeit am Rande der Verrücktheit. Nun hat er mich die Angst gelehrt. Ja, zuallererst die Angst. Ich konnte nicht schlafen. Ich konnte nicht stillen. Ich konnte nicht ruhig werden. Ich konnte nicht vertrauen. Ich konnte nichts. Ich erlebte mich scheitern auf ganzer Linie. Dabei war ich doch so sehr überzeugt gewesen, das locker zu nehmen. Authentisch und natürlich, ohne allzuviel Pathos einfach Mutter sein. Das hatte ich mir vorgenommen. Davon war ich fest überzeugt gewesen. Das hätte so gut in mein Selbstbild gepasst. Wo die Abhängigkeit und die Hilflosigkeit bis dahin keinen Platz hatte. Jetzt griffen sie Raum in mir. Ich dachte, ich gehe kaputt daran. Ich konnte nicht ohne jemanden, aber ich konnte mich genausowenig an jemanden wenden. Ich fühlte mich hoffnungslos verloren und allein mit diesem Bündel. Wirklich völlig allein. Eine Zumutung für mein Kind. Ich hatte ja nichts zu geben, keine Fürsorge, keine bedingungslose Liebe, kein vorbehaltloses Annehmen. War ich doch selbst so verzweifelt und hätte all das selbst so sehr gebraucht. Die erste Zeit nach der Geburt war wirklich brutal. Ich schien alle Verliebtheit aufgebraucht zu haben in dem Moment der Zeugung. Wo ich glühend dafür eingestanden war, dass die Innigkeit der Begegnung allemal das Risiko einer Schwangerschaft lohnt. Und wenn ich heute Bilder von ihm und mir sehe, Körper an Körper, nackt auf meiner Brust, ich zwar erschöpft aber liebevoll lächelnd, dann bin ich erstaunt. Mein ganzes inneres Ringen ist mir aus der Distanz mit äußerem Blick nicht ohne Weiteres anzusehen. Und dennoch. Die Begegnung mit diesem Baby war einfach gnadenlos. Die Begegnung mit mir war gnadenlos. Der Spiegel so gestochen scharf, dass es weh tat. Noch heute kann ich den Blick in seinen Augen, seinen seelischen Ausdruck manchmal schwer aushalten. Als sage er mir die Wahrheit über mich, meine Verleugnungsversuche, meine schäbigen Versteckspiele ohne jegliche Beschönigung mitten ins Gesicht. Auch wenn ein wenig mehr Schatten auf ihn gefallen ist über die letzten Jahre (seit Schulbeginn und der fortschreitenden Sozialisation, die so lange auf sich warten ließ). Er die Regeln der höflichen Schonung ein wenig verinnerlicht hat. Er kann mich immer noch von einem Moment zum anderen entblößen mit seinem Blick. So erlebe ich ihn. Er hat mich nie geschont. Er hat mir brutal den Spiegel vor das Gesicht gehalten. Vor meine unreife Seele. Mit all ihrer Verleugnung von Hilflosigkeit, Angst, Einsamkeit und Verzweiflung. Er hat mich zur Reifung gezwungen. Dazu, all das anzuerkennen. Jahr für Jahr ein bisschen mehr. Es war schwer, immer wieder die Zärtlichkeit in unserer Beziehung zu finden. Ihr Raum zu geben. In mir. Zwischen uns. Das konstituiert bis heute einen großen Teil meines wiederkehrenden Schuldgefühls ihm gegenüber. Hätte ich nur zärtlicher sein können. Wäre ich nur nicht so schonungslos mit mir selbst verfahren. So gnadenlos. So überansprüchlich. So männlich. So hart. So…Ach…Ich war so streng zu mir. Und es tut mir an verletzlichen Tagen in der Seele weh, wenn ich ihn ähnlich streng mit sich selbst erlebe. Jetzt, wo er 9 Jahre alt ist. Wenn er beim Activity-Spielen am Zeichnen scheitert, niemand seinen Begriff errät und er darüber weinen muss, dass er es nicht besser machen konnte. Dann sehe ich mich. Nicht nur. Ich sehe auch seinen Vater. Ich sehe auch ihn selbst. Aber ich sehe auch mich. Und ich bin froh, dass ich ihn heute leichter trösten kann als noch vor Jahren, wo ich diese Überansprüchlichkeit so sehr abgelehnt habe. Während ich selbst daran so sehr gelitten habe. Und mich so sehr geweigert habe, einfühlsamer mit mir selbst zu sein.
Es gibt ein Gefühl, das mich immer wieder einholt. Meist hinterrücks. Ohne Andeutungen, so dass ich mich vorbereiten könnte. Letztens mal wieder am Morgen. Ich lag mit meiner kleinen Tochter im Arm auf der Couch beim morgendlichen In-den-Tag-kuscheln. Meistens genieße ich das sehr. Ihre vielfältigen Annäherungsstürme sind so leicht zu beantworten. Führen zu neuen Fragen. Zugeneigten, zärtlichen, wilden. Und dann kommt irgendwann aus dem scheinbaren Nichts der Gedanke an meinen 9jährigen, der im Zimmer nebenan noch schläft. Mich überfallen Schuldgefühle. Als führe ich ihm mit der kleinen Schwester etwas vor, was ich ihm damals versagt hätte. War ich wirklich jemals auch annähernd so eng mit ihm, als er so klein war? So innig? So körperlich? So unbefangen? Oder war ich nicht vielmehr auf einer tiefen unbewussten Ebene sehr ablehnend ihm gegenüber. Trotz und gerade wegen seines Gegengeschlechts. Weil die inneren Identifikationen mit dem Männlichen und dem Weiblichen in mir so durcheinander waren. So unklar, mit was ich mich denn nun verbinden dürfte. Dem männlichen Mannsein, das ich nicht war, dem weiblichem Mannsein, das ich nicht sein konnte, der männlichen Weiblichkeit, die ich dachte zu sein, der weiblichen Weiblichkeit, die ich ablehnte oder umgekehrt oder was denn nun oder alles oder nichts von allem? So unsicher ich mit mir war, so unsicher war ich mit ihm.
Als ich mehr als sechs Jahre nach der Geburt meines Sohnes (ja, ich brauchte lange Zeit, um die ersten Jahre als Mutter zu verdauen) erfuhr, mit einem Mädchen schwanger zu sein, freute ich mich riesig. Ich war endlich bereit für ein Mädchen. Und ich wollte dieses Mädchen wirklich sehr. Schon bevor sie da war. Und dennoch: etwas ging wieder los in mir. Wenn auch mit anderen Vorzeichen. Weniger Grundunsicherheiten. Aber schnell war klar, dass ich wieder nicht diese entspannte Nebenher-Mutter sein würde, die ich so gerne wäre. Um der Welt (in allererster Linie vermutlich meiner eigenen „unentspannten“ Mutter) zu beweisen, wie viel besser ich das alles kann. Wie anders ich das mache. Meine Tochter hat neue Themen in mir aufgebracht. Spannende Fragen nach dem eigenen Begehren. Insbesondere dem weiblichen. Der Vielfalt meines weiblichen Begehrens. Und der eigenen Beschränkungen. Ja, die sind auch immer noch ein treuer Begleiter. Aber wenn ich sie dabei beobachte, wie sie gegen mehrmalige Aufforderung ihrer Eltern, endlich sitzen zu bleiben, ihren Abendessensteller packt, von ihrem Stühlchen absteigt und mit fester Stimme und klarem Blick sagt: „Ich gehe jetzt auf den Balkon. Ich will draußen essen!“, um dann dort genussvoll am Boden sitzend ihre Mahlzeit zu verspeisen. Wenn sie selbst ihrem großer Bruder, der meist an ihren Dreikäsehochideen verzweifelt, bewundernde Blicke abringt, dann weiß ich, dass ich noch viele Fragen an sie haben werde.
Es ist schwer, ehrlich über die eigenen Kinder zu sprechen. Und über sich.
Guten Tag,
ich habe Dich über den Blog von Kopfstimme gefunden und werde Dich umgehend in mein Blogroll aufnehmen, das habe ich noch nie gemacht! Deinen Text werde ich noch einige Male lesen müssen. Ich bin begeistert, eine kluge Frau, reflektiert und Psychoanalytikerion, woo, wie toll ist das denn!. Es gibt einige Parallelen in unserem Leben, bin relativ spät mit dem Sohn schwanger geworden und habe nach seiner Geburt erfahren, dass nichts mehr ideal, natürlich und einfach ist, die absolute Herausforderung. Bin eine Generation älter als Du, mein Sohn ist jetzt 32, und es ist „was aus ihm geworden“, aber nicht das, was ich mir mal so vorgestellt hatte, natürlich. Ich freue mich auf gelegentlichen Austausch.
Liebe Grüße
Paula
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